Wenn du deine Webseite füllst, eventuell Landingpages bastelst oder dein Social Media Schaufenster befüllst, kommst du irgendwann an den Punk, dich zu fragen: Bin ich hier eigentlich noch ich selbst oder bin ich ein schleimiger salesy Schmock? Du beobachtest Kolleg*innen und Wettbewerber, manche findest du super, andere peinlich und die meisten sind dir egal, aber eine Sache, auf die hast du wirklich keine Lust: Manipulation.
Der Vorwurf der Manipulation geistert durch die Medien. Vor allem seit der absolut berechtigten Kritik an toxischem Marketing, insbesondere in der Online-Coaching-Szene, ist vielen klar, dass sie möglicherweise unwissentlich Taktiken angewandt haben, die sie heute hinterfragen. Andere wiederum ärgern sich über die Kritik, weil sie von den bisher üblichen Praktiken profitiert haben.
Wer von denen, die heute so ganz offen mit ihren Fehlern aus der Vergangenheit umgehen, nicht genau diese Transparenz nur als nächste Taktik missbraucht, sei mal frech in den Raum geworfen. Wir widmen uns heute jedenfalls ein paar dieser Taktiken, auf die man immer wieder stößt, und hinterfragen mal: Ist alles wirklich so toxisch oder handelt es sich hier um homöopathische Dosen? Wenn zweiteres, wirkt es dann überhaupt? Aber warum bekommt man es nur in der Apotheke? Müssen diese rhetorischen Fragen unbedingt sein? Ja. Denn damit bleibst du dran und ich den lockere den Text auf. Los jetzt:
Stil – oder schon Manipulation? Was du beim Schreiben alles (falsch) machen kannst
Manipulationstechniken wenden viele entweder mitten im Text an oder sie werden strukturell in den Aufbau von Texten eingeflochten. Beides passiert im Content-Kontext. Ich widme mich nicht speziellen Triggerwörtern, sondern schaue mir die üblichen Verdächtigen an, um die es immer wieder geht und die auch unbewusst angewandt werden. Beim Schreiben hast du die Möglichkeit, einfach drauf los zu texten oder planvoll voran zu schreiten. Je besser und je länger du schon schreibst, desto intuitiver nutzt du bestimmte Techniken oder Strategien. Ich zähle im Folgenden auf, welche oft genutzt werden und ab welchem Grad der Toxizität wir von Manipulation sprechen, die über ein gesundes Maß hinausgeht.
Oft genutzte Marketing-Taktiken geordnet von Soft bis Hard Core
1. Zielgruppengerechte Sprache: Bindung durch Anbiederung?
Alle sprechen davon, dass man seine Zielgruppe kennen muss, am Besten die Tonalität herausarbeitet und verwendet, damit die eigene Botschaft auch bei den richtigen Leuten ankommt. Tja. Beginnt hier schon die Manipulation? Du möchtest ja nur eine Verbindung aufbauen und passt deine Sprache an: Über den verwendeten Wortschatz, die Länge oder Kürze deiner Sätze und Texte, den Aufbau der Satzstruktur (verschachtelt oder sehr vereinfacht), aber: Ist das überhaupt authentisch?
So kann man – rein auf textlicher Basis – die vermuteten wunden Punkte der Zielgruppe adressieren. Das geht beispielsweise so wie bei mir oben im Text (erster Satz – hast du dich wiedererkannt, liest du eher weiter, als wärest du Instagram-Guru und liebst GRWMs in jeglicher Ausformung). Ich habe z.B. eben ein Kürzel verwendet, dass sehr Social Media spezifisch ist. Wenn du weißt, wofür das steht: Hi, fellow Content-Mensch. Wenn nicht: Dann hältst du dich entweder in einer komplett anderen Bubble auf als ich oder scheust hochformatigen Videocontent komplett. Ich kann damit also entweder Leute abschrecken oder sicherstellen, dass die richtigen Leute weiterlesen.
Ich will zum Beispiel mit diesem Artikel nicht Menschen bekehren, die Social Media hassen. Darin sehe ich nicht meine Aufgabe. Mir geht es um diejenigen, die versuchen, sich in diesem Dschungel zurechtzufinden und wissen, dass Content Marketing wichtig ist und warum es Sinn macht, die aber keine Lust haben, jeden Bereich ihres Lebens nur noch darum kreisen zu lassen. Keine Lust auf Social-Media-Burnout – das ist das Ziel. Rein sprachlich eine Verbindung aufzubauen ist eine soziale Handlung, die Menschen jeden Tag nutzen. Wenn du ein Produkt hast oder mit bestimmten oder für bestimmte Menschen arbeiten willst, ordnest du dich unter oder du suchst eh “deine Leute”. Beides ist ein Kunstgriff, um deine Ressourcen nicht sinnlos ins All zu ballern. Dafür ziehst du diejenigen an, die für dich passen. Win win, denn du verkackeierst die ja nicht? Oder?
2. Pain Points herausarbeiten
Nahe verwand ist nämlich dieser Aspekt der zielgruppenspezifischen Kommunikation: Jeder Kunde, der sich möglicherweise für dein Produkt oder deine Dienstleistung interessiert, hat ein “Problem”, das er oder sie lösen möchte – so die Annahme. Wenn du dich also nur gründlich genug in deine Wunschkund*innen hineinfühlst, findest du heraus, was sie wirklich beschäftigt. Ich habe das oben angesprochen. Rhetorische Fragen eignen sich dafür sehr gut.
Hier gibt es meiner Ansicht nach eine wichtige Unterscheidung deiner Intention betreffend: Möchtest du tatsächlich ein Problem lösen, eines, das auch wirklich existiert? Oder schaffst du ein Problem, von dem die Menschen vorher gar nicht wussten, dass sie es haben? Dann übertreibst du Banalitäten oder auch einfache Probleme, sodass sie schlimmer, am Schlimmsten, katastrophisiert nicht mehr aus den Köpfen kommen. Nimmst du dir eine Angst und streust Salz in die Wunde, bis die Leute keinen Ausweg mehr zu kennen glauben, als am Ende deiner durchdacht aufgebauten Landingpage den erlösenden Button zu drücken, dann, sag ich mal, war das ziemlich fies. Du hast die Angst ausgenutzt, und zwar besonders dann, wenn dein Angebot mit einem Heilsversprechen einherging.
3. Heilsversprechen
Damit sind wir beim nächsten Schritt: Du hast das Problem ausfindig gemacht und du hast die eine, die einzig wahre Lösung. Du bist der Messiahs der Biolimonaden. Du bist die Kuscheldecken-Königin und kannst damit Rheuma heilen. Ohne deinen Online-Kurs werden deine Kund*innen verarmen, verdummen, auf der Straße landen, alleine sterben. Damit befindest du dich auf der inhaltlichen Ebene und du hast deine Kund*innen Schrittweise auf die Lösung vorbereitet. Dabei gehst du langsam und strategisch vor. Wäre das Problem die Tür und die Lösung der Rammbock, dann hast du am Ende nämlich ein anderes Problem – deine Kunden interessieren sich nur dafür, ob du ordentlich versichert bist.
Deswegen sorgst du im ersten Schritt dafür, dass du nur Haustüren ohne Pentagram vorfindest. Dann sorgst du dich, baust vertrauen auf. Was du willst, ist, hereingebeten zu werden. Trittst du ein, werden sie dich nicht mehr los, dein Ziel ist die blutige Unterschrift unter dem Seelenvertrag. Denn dein Angebot ist zu gut, um wahr zu sein. Läuft es so, nimmst du außerdem horrende Preise und deine Versprechen sind falsch, dann ist das natürlich hoch manipulativ. Gehst du stattdessen ehrlich mit den Limitationen deiner Produkte und Leistungen, transparent mit deinen Preisen und Abläufen um, spricht nichts dagegen, dass du eine Lösung für ein Problem hast. Die Rammbock-Methode bietet sich selten an, den Mephisto muss deswegen niemand spielen. Wissen darum, wie Menschen und verschiedene Typen (Zielgruppen) ticken, ist hilfreich. Nutze dieses Wissen nicht aus. Dann kannst du auch eine Salespage schreiben, die dir nicht peinlich ist.
4. Fear of missing out und künstliche Verknappung
Wie Menschen ticken ist manchmal wirklich einfach zu durchschauen und wir alle sind schon Opfer gewesen: “Nur noch 2 Betten übrig! Jetzt buchen! Schnell sein lohnt sich! Der Preis ist nur noch heute so günstig!” Textlich gesehen ist das kein Stilmittel mehr, es wird einfach eingeflochten in den Landingpages und Newslettern oder blinkt als Warnhinweis auf. Angst, etwas zu verpassen, lässt uns abhängig von TikTok werden und in jungen, wilden Jahren häufiger feiern gehen, als einem guttun würde (it’s me, hi!).
Die toxische Manipulation beginnt bei der Art der Verknappung: Ist sie tatsächlich künstlich oder ist sie es in Wirklichkeit nicht? Ein Schlussverkauf von Waren, die danach nicht mehr hergestellt werden, ist tatsächlich eine Verknappung und der günstige Preis bewirkt nur, dass schneller Platz gemacht werden kann für die nächste Saison. Hast du einen fiktiv hochgeschraubten Preis für dein Produkt oder dein Angebot als Grundlage für deinen “Rabatt”, spielst du mit den Gefühlen deiner Kund*innen.
Eigentlich logisch, oder? Dass es nicht sonderlich ethisch ist, übertriebene Preise zu nennen, um dann großzügig einen Rabatt fürs Schnellsein in Aussicht zu stellen, während dieser Preis dein eigentlicher und immer noch ziemlich happig ist, müsste doch jedem klar sein. Dachte ich immer. Dann kommen aber plötzlich Online-Kurs-Verkäufer*innen um die Ecke und sind geläutert. Sie dachten eben, das mache man nunmal so. Denn: “Alle machen das so”. Da sind sie wohl selber auf eine Trick hereingefallen. Näch? Naja.
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